Aktuelles

3.05.2021

Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts dringend erforderlich – Doppelte Staatsbürgerschaft ausnahmslos ermöglichen

Stellungnahme des Verbandes zum Antrag der Fraktion der SPD für eine angestrebte Bundesratsinitiative im Landtag Nordrhein-Westfalen. Der Verband binationaler Familien und Partnerschaften begrüßt die Initiative der SPD-Land-tagsfraktion, ein modernes und zukunftsorientiertes Staatsangehörigkeitsrecht auf den Weg zu bringen und insbesondere die Hinnahme von Mehrstaatigkeit im Blick zu haben. Dabei ist der demokratische Staat aus Sicht des Verbandes binationaler Familien in der Bringschuld.


Auszug

1.) Der Staat als reales Konstrukt
Die Geschichte der Nationalstaaten ist im Vergleich zur Menschheitsgeschichte relativ kurz. Wir erinnern daran, dass Staatsgrenzen durch verschiedene geschichtliche Prozesse von Menschenhand gezogen wurden und werden und somit keine selbstverständliche Abgren-zung darstellen. Ebenso werden Migrationsbewegungen über diese Grenzen hinweg von Faktoren geleitet, für die die Migrierenden nicht allein die Verantwortung tragen. Im Gegen-teil. Meist liegen internationale Vorgänge als Ursachen vor wie Kriege, Ausbeutung, wirt-schaftliche Schieflagen und internationale Abkommen. Dass Menschen sich für längere Zeit-räume über Nationalgrenzen hinwegbewegen, sollte also kein Grund sein, ihnen mit Gering-schätzung oder Zweifeln zu begegnen, sie als problematisch oder gefährlich anzusehen und sie dauerhaft mit Nachteilen - im Vergleich zur immer sesshaft gebliebenen Bevölkerung – zu belegen. Die derzeitige Realität migrierter Menschen und ihrer Familien macht in vielen Fäl-len aber genau das deutlich.
2.) Staatsbürgerschaft als Zugang zu Rechten und Möglichkeiten
Erst mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft erhalten Menschen für das Gebiet, in dem sie leben, die vollen Bürgerrechte. Erst dann gehören sie zu dem Staatsgebiet vollwertig mit all ihrer persönlichen Ausstattung dazu, sind Teil eines Ganzen. Menschen, die sich durch Mig-ration von einem Gesellschaftssystem in ein anderes bewegt haben, sind erst einmal in ver-schiedenen Bereichen wie Kenntnisse der Infrastruktur oder Aufbau der Verwaltung, Spra-che oder Kultur im Vergleich zur immer sesshaft gebliebenen Bevölkerung im Nachteil. Sie erleben durch einen langanhaltenden Ausschluss aus der Staatsbürgerschaft zusätzlich eine rechtliche Benachteiligung. Durch die so entstehende Kombination von „Neu“-Sein und Rechtlich-benachteiligt-Sein kann die Diskriminierung ihnen gegenüber verstärkt werden. Das rechtliche Nichtdazugehören Zugewanderter nährt auf diese Weise zudem die Wahrneh-mung der immer sesshaft gebliebenen Bevölkerung darüber, wer dazu gehört, wer wichtig ist und wer das Recht auf seiner Seite hat. Dies sind in der Regel jene, die mit ihren Familien seit Generationen sesshaft geblieben sind. Diese Haltung wird mit globalen Diskriminierungs-strukturen wie dem Postkolonialismus und der antimuslimischen Diskriminierung verwoben und wirkt – aufgrund der Vererbbarkeit von Staatsbürgerschaft – ebenso über mehrere Generationen hinweg. Auf diese Weise entsteht auch die Wahrnehmung einer Parallelgesell-schaft und zementiert zudem die Haltung, dass Deutschsein in erster Linie eine Frage der Abstammung sei. Das Erleben auch eingebürgerte Menschen immer wieder, insbesondere wenn sie sich von der Mehrheit in ihrem Umfeld äußerlich unterscheiden. Sie werden wei-terhin als Nichtdazugehörig angesehen und die Frage, woher kommst du, bleibt weiterhin der Standard.
Es ist die Pflicht und Aufgabe des Staates, auf die migrierte Bevölkerung zuzugehen und um sie zu werben. Ihnen die Staatsbürgerschaft - also die Zugehörigkeit - anzubieten und sie dadurch mit all ihren Ressourcen und Möglichkeiten anzuerkennen, sie wertzuschätzen.Viele der migrierten Menschen in Deutschland fühlen sich bereits zugehörig zu diesem Land – es fehlt eine sichtbare Aufnahmebereitschaft, ein Willkommen auf der anderen Seite. Durch solch eine Strategie des Staates würde darüber hinaus der hier sesshaft gebliebenen Bevölkerung verdeutlicht, dass Deutschsein und vielfältig sein zusammengehört. Die in wei-ten Teilen NRWs und des gesamten Bundesgebietes gelebte Vielfalt als gesellschaftliche Rea-lität findet noch nicht ihren Ausdruck im Staatsangehörigkeitsrecht und in der Einbürgerungspraxis.

STELLUNGNAHME