Katastrophe sehenden Auges - Familiennachzug und Afghanistan, was nun?
„Ich habe zig-fach gemailt: da passiert bald was, es braut sich was zusammen und meine Frau muss so schnell wie möglich aus Kandahar raus und jetzt ist es zu spät“.
Acim Aziz ist verzweifelt. Der deutsche Politikwissenschaftler und Dolmetscher ist seit 2018 mit einer Afghanin verheiratet. Zwei Jahre später hatte das Paar alle nötigen Papiere beisammen, um einen Termin an der deutschen Botschaft in Islamabad beantragen zu können. Erst im Juni 2021 konnten sie dort vorsprechen. Aziz hat sich in vielfachen Mails an die Botschaft gewandt, um die Terminvergabe zu beschleunigen. Auch mit dem Hinweis auf die instabile Lage in Kandahar und den wiederholten Drohungen, Anschlägen und Attacken auf Familienangehörige und Freunde. Dann endlich der Termin mit dem Ergebnis, dass seine Ehefrau einen Deutschtest und noch weitere, eigentlich irrelevante, Unterlagen beibringen muss, bevor das Verfahren der Visumsvergabe überhaupt in Gang gesetzt wird. Der Deutschtest ginge nur im Goethe-Institut in Pakistan. Eine Ausnahmeregelung sei nicht möglich.
„Ich verstehe nicht, warum im Zeitalter der Digitalisierung die deutschen Stellen Jahre brauchen, um auch nur einen Termin zu vereinbaren und warum noch im Juli auf den Deutschtest bestanden wird. Jetzt sitzt meine Frau in Kandahar fest und kann nirgends hin. Ihr Leben ist in Gefahr. Die deutschen Behörden haben sie sehenden Auges ans Messer geliefert“. So wie Acim Aziz geht es vielen Betroffenen, die auf Termine im Familiennachzug warten.
„Die sich zuspitzende Lage in Afghanistan war bekannt und dennoch beharren die deutschen Behörden auf ihren bürokratischen Regeln. Selbst jetzt verlangen sie noch Dokumente aus Afghanistan, die mit dem Zusammenbruch aller Strukturen überhaupt nicht zu beschaffen sind“, sagt Chrysovalantou Vangeltziki, Bundesgeschäftsführerin Verband binationaler Familien und Partnerschaften. Derzeit erreichen den Verband viele verzweifelte Anrufe, Briefe und Unterschriftenlisten. Die Visaabteilung in Islamabad sei schon immer für ihre langen Wartezeiten bekannt. „Das haben wir seit Jahren wiederholt angemahnt. In der jetzigen katastrophalen Lage ist diese Hinhaltepolitik völlig unverständlich. Wir fordern unbürokratische Lösungen und sofortige Ausreisemöglichkeit aller Familienangehörigen. Die deutschen Behörden machen sich mitschuldig am Schicksal der Familienangehörigen. Hier geht es um Menschenleben,“ so Vangeltziki.