20.01.2024

Ein

Zwischenruf


Zwischenruf aus Anlass der Correctiv-Enthüllungen zum sogenannten Potsdamer Geheimtreffen und den dort bekannt gewordenen Deportationsplänen

 

Wacht endlich auf!

 

Eigentlich ist nichts wirklich Neues passiert. Wieder ein Treffen, wieder rassistische Parolen, wieder demokratiefeindliche Pläne. Wir wissen seit langem, dass rechtsextreme und national-radikale Kräfte daran arbeiten, Demokratie und Rechtsstaat in Deutschland abzuschaffen.

Unsere Familien im Verband binationaler Familien und Partnerschaften sind nicht überrascht. Deutlich waren die Anzeichen in den letzten Monaten angesichts eines sich verschärfenden Migrationsdiskurses. Immer offensichtlicher sickerten menschenverachtendes Gedankengut und Begrifflichkeiten in die Forderungen der etablierten demokratischen Parteien und damit in die mediale Öffentlichkeit ein. Erst ein “Rückführungsverbesserungsgesetz”. Nun also ein “Masterplan Remigration”. Diese Begriffe verharmlosen, worum es eigentlich geht: es gibt Menschen, die gehören dazu und andere eben nicht. Wer permanent von einer „Migrationskrise“ spricht, diffamiert letztendlich alle migrantischen Menschen. Die Deportation erscheint da nur noch als logische Konsequenz.

Was wird jetzt passieren? Gibt es endlich ein Aufwachen?

Die migrantischen, binationalen und transnationalen Familien, die wir in unserem Verband vertreten, hoffen darauf. Sie sind die Zielscheibe einer rassistischen Gesinnung und Politik, sie sind diejenigen, die massenweise deportiert werden sollen. Und sie sind diejenigen, die sich im Stich gelassen fühlen. Die Angst und Ohnmacht bei den Familien wachsen. Sie hoffen auf ein Aufwachen.

Demokratische Parteien wacht auf!  In den letzten Monaten wurde von ihnen eher das Ziel verfolgt, sich gegenseitig in Migrationsdebatten rechts zu überholen, eine „Krise“ herbeizureden, wo es keine gibt. Diese Rhetorik ist unverantwortlich. Sie richtet sich gegen Grund- und Menschenrechte. Statt migrantische, binationale und transnationale Familien zu schützen, werden sie zur Zielscheibe rassistischer Propaganda. Populismus in der Politik hat noch nie etwas Gutes hervorgebracht. Den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben schon gar nicht. Eine Diskursverschiebung nach rechts normalisiert und legitimiert Rassismus, sonst nichts. Wir fordern von den demokratischen Parteien eine klare Abgrenzung gegen rechtsextreme Sprache und Gedankengut!

Zivilgesellschaftliche Organisationen wacht auf! Migrantische, binationale und transnationale Familien hofften in den vergangenen Monaten vergeblich, dass sich die großen Organisationen im sozialen Bereich zusammenschließen und gemeinsam gegen den sich verschärfenden

Migrationsdiskurs protestieren. Wenig war zu hören von den Gewerkschaften, von den Kirchen, von den großen Verbänden. Angesichts des zunehmenden autoritären und totalitären Denkens in der Mitte der Gesellschaft sowie der unmittelbaren Gefahr der Regierungsbeteiligung von gesichert Rechtsextremen in drei ostdeutschen Bundesländern in 2024 mit dem Einhergehen eines Bröckelns der Brandmauern:  wir brauchen eine starke Zivilgesellschaft und breite Bündnisse.

Migrantische Familien und Kinder erleben seit Jahren alltäglichen Rassismus, sei es auf subtile Art und Weise in Form von Mikroaggressionen, z.B. in den Bildungsinstitutionen oder durch direkte Beleidigungen und Angriffe in der Öffentlichkeit. Seit den Enthüllungen von Correctiv über die Deportationspläne rechtsextremer Kreise hören sie häufig ungefragt und situationsunabhängig:

“Müsst Ihr jetzt dorthin zurück, wo Ihr hergekommen seid?”

Wo sollen wir als Frankfurter, Berliner, Kölner Familien eigentlich hin? Wo sollen unsere Kinder hin? Sätze wie diese hören unsere Kinder von Mitschüler:innen, von Lehrer:innen und Eltern ihrer Freund:innen. Von Menschen, die die deutsche Geschichte kennen, die sich ihrer Verantwortung bewusst sein sollten, die alles dafür tun sollten, unsere Demokratie zu verteidigen! Scheinbar haben viele Menschen in unserem Land, darunter auch Entscheidungsträger:innen, den Ernst der Lage immer noch nicht erkannt. Viele glauben, sie selbst seien von den jüngst veröffentlichen Deportationsplänen nicht betroffen und könnten sich raushalten – so zumindest ihre eigene Wahrnehmung.

Wie können wir unseren Kindern vermitteln, dass es in dieser, ihrer Gesellschaft eine wachsende Gruppe an Menschen gibt, die denken und mittlerweile auch offen aussprechen, dass sie nicht so richtig dazu gehören, Menschen, die sie ablehnen und außer Landes verweisen wollen? Migrantische, binationale, transnationale Familien sind Teil dieser Gesellschaft und fühlen sich ihr selbstverständlich zugehörig - sie sind hier geboren und aufgewachsen.

Familien wacht auf! Eltern von rassismuserfahrenen Kindern wünschen sich Solidarität. Insbesondere von all jenen Familien und Eltern, die selbst nach den Enthüllungen der letzten Woche sagen, “Ach, soweit wird es schon nicht kommen”. “Übertreibt mal nicht.” Und die dabei vergessen: es betrifft alle. Bitte kommt mit uns auf die Demos, unterzeichnet unsere offenen Briefe und Kampagnen. Wacht auf und werdet aktiv! Sprecht mit Euren Kindern über rassistische Gesellschaftsstrukturen und sprecht dabei auch über die jüngsten Geschehnisse, zeigt die Gefahr in unserer Gesellschaft auf.

Wir appellieren eindringlich an alle, die etablierten demokratischen Parteien, die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die Bürger:innen, Eltern, Mitschüler:innen, Kolleg:innen und Freund:innen: Macht den Schutz der Demokratie vor Rechtsextremismus auch zu Eurer Angelegenheit!

Es ist an der Zeit endlich aufzuwachen!